3 Forschungsprozess
Letzte Änderung am 07. June 2024 um 09:49:16
“In der Wissenschaft beginnt alles Neue damit, dass jemand brummt ‘Hmmm… ist ja komisch.’” — Isaac Asimov
Wenn du forschen willst und Neues herausfinden willst, musst du hinterfragen was dich an Welt und Realität umgibt. Du musst dich aus deiner Komfortzone herausbegeben und etwas Neues wagen. Beginnen wir also unvermittelt mit einer kleinen Parabel von Wallace (2009) über das Wasser.
Da schwimmen zwei junge Fische und treffen zufällig einen älteren Fisch, der in die andere Richtung schwimmt, ihnen zunickt und sagt: “Morgen, Jungs. Wie ist das Wasser?” Und die beiden jungen Fische schwimmen eine Weile weiter, bis schließlich einer von ihnen zu dem anderen hinüberschaut und sagt: “Was zum Teufel ist Wasser?”
Okay, nette Geschichte über Fische, aber was denn nun mit wissenschaftlicher Forschung zu tun? Keine Angst, wir kommen nochmal auf die Geschichte mit dem Wasser zurück. Aber zuerst die Frage nach dem “Woher kommen wir eigentlich?” und “Wohin wollen wir?”. Das sind die Fragen, die wir in diesem Einführungskapitel zu dem Prozess der Forschung angehen wollen. Für viele Neueinsteiger in die Forschung ist das wissenschaftliche Arbeiten immer etwas sperrig oder gar mysteriös. Irgendwie passt das wissenschaftliche Arbeiten nicht so richtig in die Alltagserfahrungen hinein. Oder etwas plakativer, wissenschaftliches Arbeiten soll und muss sich vom gesunden Menschenverstand unterscheiden. Das führt dann immer zu einem gewissen Spannungsfeld. Dieses Spannungsfeld wollen wir etwas auflösen indem wir uns historische Beispiele und Verwirrungen in der Forschung anschauen.
Wissenschaftliches Arbeiten und Forschen ist nämlich eine eigne Kulturtechnik. Kulturtechniken sind kulturelle und technische Konzepte zur Bewältigung von Problemen in unterschiedlichen Lebenssituationen. Dabei besteht ein komplexer Zusammenhang zwischen der Gestaltung der Umstände, dem technischen Können und der verwendeten Technik. Wissenschaft betreiben zu Können ist eine von vielen Kulturtechniken. Um eine Kulturtechnik ausüben zu können, sind bestimmte Voraussetzungen unerlässlich. Dazu gehören das Beherrschen von Lesen, Schreiben und Rechnen sowie die Fähigkeit zur bildlichen Darstellung. Analytische Fähigkeiten, die Anwendung von kulturhistorischem Wissen und die Vernetzung verschiedener Methoden sind ebenfalls voneinander abhängig. Eine Kulturtechnik entsteht nicht allein durch das Individuum, sondern durch Gruppenleistungen im soziokulturellen Kontext. Daher erfordern alle genannten Voraussetzungen stets soziale Interaktion und gesellschaftliche Teilhabe.
“Scientific knowledge, especially as stacked in textbooks, has an aura of objectivity - it is secure, uninfluenced by what we might hope or fear, and a solid assertion of what is true. Or, at least, that is what we are supposed to think. Knowledge, once formed, tends to become disembodied from its human origins. That is, while knowledge is preserved in the form of books, formulas, proofs, theorems, and such, we must not forget that before all this the formation of knowledge was the result of human thought, effort, and desire. Knowledge is a product of human hopes and fears; our emotions are crucial to its development, and its meaning cannot be truly understood if seen as some bloodless and emotionless enterprise.” — Writing science: how to write papers that get cited and proposals that get funded (Schimel 2012)
Hinter der Kulturtechnik des wissenschaftliches Arbeiten verbirgt sich konkret eine eigne Art zu Denken — eine wissenschaftliche Philosophie. Häufig ist dir gar nicht bewusst, dass es verschiedene Denkschulen und Denkansätze gibt. Mit Philosophen verbinden wir häufig die alten Griechen, die auf Plätzen, umrahmt von Marmorsäulen, einen Plausch abhalten. Oder aber wir haben das Bild von dem Philosophen Diogenes in dem Weinfaß vor Augen, was auch den Philosophen eher gering schätzt. Diogenes kommt als verwahrloster Obdachloser rüber, dem wir dann auch nicht zuhören müssen. Auch wenn er uns unbequeme Dinge sagen mag. Wir wollen uns also im folgenden Kapitel auf ein Abenteuer begeben und dabei uns verschiedene Denkschulen einmal näher anschauen. Dabei behalten wir im Hinterkopf, dass ein Abenteuer eine Unternehmung mit ungewissen Ausgang ist. Jede Idee hat natürlich ihre Zeit aus der sie kommt, aber manche Ideen überdauern dann doch Jahrhunderte. Schauen wir uns also im Laufe des Kapitels einige historische Forschungsprozesse an.
3.1 Historische Forschungsprozesse
“Ein Schiff ist im Hafen sicher, doch dafür werden Schiffe nicht gebaut.” — John Augustus Shedd
In diesem Abschnitt wollen wir uns verschiedene Forschungsprozesse an verschiedenen historischen Beispielen anschauen. Spannend ist, dass einige dieser Forschungsprozesse nicht wirklich abgeschlossen sind. Selten ist der Anfang und das Ende der wissenschaftlichen Entwicklung wirklich präzise zu benennen. Das kann ja auch nicht sein, den Forschung ist ein fortschreitende Prozess, der kein definiertes Ende hat. Das Schwierigste am Forschen ist daher oft für sich das individuelle Ende zu benennen. Ein Ende zu finden und seine Ergebnisse zu publizieren und der Öffentlichkeit zu Verfügung zu stellen, obwohl man subjektiv noch gar nicht fertig ist. Zwar mögen Forschungszweige nicht mehr relevant sein und verschwinden, aber die ganz großen Fragen bleiben meist vollständig unbeantwortet. Vor allem die großen Fragen nach der Meachnik der Welt und dem Inneren des Menschen.
In Abbildung 3.1 sehen wir den Menschen der hinter das Himmelszelt schaut auf der Suche zu Verstehen wie die Himmelmechanik funktioniert. Dieses Bild von 1888 soll das mittelalterliche Weltbild symbolisieren. Der unbekannte Künstler zeigt in dem Holzstich die Suche des Menschen nach der Mechanik hinter der Welt. Die Welt folgt Regeln und diese Regeln sind zu entdecken. Damit sind diese Regeln auch determiniert oder man könnte auch sagen besiegelt. Nun wissen wir aber aus unserer heutigen Weltsicht, dass dieses Weltbild nicht stimmt. Die Welt in der wir leben ist nicht determiniert oder vorherbestimmt.
In der Tabelle 3.1 sind als Auswahl vier Kränkungen der Menschheit dargestellt. Es gibt je nach Aufzählung mal mehr oder weniger Kränkungen. Allen Kränkungen ist aber gemein, dass sie den Selbst- und Weltbezug der Menschen fundamental geändert haben. Jede dieser Kränkungen sorgte für einen Paradigmenwechsel in den folgenden Generationen. Nach diesen Entdeckungen war die Welt für die Menschen nicht mehr so, wie die Welt vor der Entdeckung war. In der Forschung werden diese Entdeckungen auch Kränkungen genannt, da sie den Menschen von dem Thron der Schöpfung stoßen und der Menschheit den Status der Ausgewähltheit nehmen. Am Ende sind wir dann doch nur felllose Trockennasenaffen, die auf einem x-beliebigen felsigen Planten im nirgendwo umhertreiben.
Art der Kränkung | Quelle | Beschreibung |
---|---|---|
kosmologisch | Kopernikus (1543) | Die Erde und damit auch der Mensch ist nicht Mittelpunkt der Welt. |
biologisch | Darwin (1859) | Die Menschheit ist in das Entwicklungssystem der Organismen eingegliedert. |
psychologisch | Freud (1895) | Der Mensch ist noch nicht Herr der eigenen Handlungen, sondern wird (vermutlich) vom Unbewussten gelenkt. |
ethologisch | Heinroth 1910 | Nicht nur unser Körperbau, sondern auch unser Verhalten ist aus dem Tierreich hervorgegangen. |
In den folgenden Abschnitten gehen wir auf die vier hier vorgestellten Kränkungen der Menschheit ein. Wir schauen uns an, was die Begleitumstände der Entdeckungen waren und wie sich die wissenschaftlichen Erkenntnisse einordnen lassen. Nach dem Motto ‘Was ist Wasser?’ schauen wir uns die verschiedenen Denkschulen und wissenschaftlichen Ideen einmal näher an. Was die endgültige Wahrheit ist, werden wir aber in der Folge nicht herausfinden können.
3.1.1 Logik
“Alles was ich kenne, ist Logik.” — Commander Spock
Wenn wir an Logik denken, dann kommt uns vermutlich als griechischer Vertreter Aristoteles (384–322 v. Chr.) in den Sinn. Wenn ich an Logik denke, dann habe ich Commander Spock (2230–2263 n. Chr.) und Commander Data (2338–2379 n. Chr.) vor den Augen, aber das ist ja popkulturell immer etwas unterschiedlich. Allgemein gesprochen, hat Logik nichts mit Gefühlen zu tun. Demnach wird logischen Argumenten auch die Emotion oder Empathie abgesprochen. Prinzipiell muss ein logischer Schluss nicht empathielos sein, da ein logischer Schluss aber ein allgemeingültige Aussage im Sinn hat, ist wenig Platz für das Individuum. Zwei zentrale Ideen der Logik sind dabei die Deduktion und Induktion. Beide Verfahren sind miteinander verwoben, was du nochmal in der Abbildung 3.2 nachvollziehen kannst.
Betrachten wir nun als erstes die Deduktion. Die Deduktion ist ein logischer Denkprozess, bei dem spezifische Schlussfolgerungen aus allgemeinen Aussagen gezogen werden. In der Deduktion geht es darum, von bereits bekannten Informationen auf neue Erkenntnisse zu schließen. Dieser Prozess basiert auf der Anwendung von logischen Regeln. Ein klassisches Beispiel für die Deduktion ist das so genannte Syllogismus-Argument:
- Allgemeine Aussage: Alle Menschen sind sterblich.
- Spezifische Aussage: Sokrates ist ein Mensch.
- Schlussfolgerung: Daher ist Sokrates sterblich.
Im Kontrast dazu steht die Induktion. Die Induktion ist ein logischer Denkprozess, bei dem allgemeine Aussagen aufgrund spezifischer Beobachtungen oder Erfahrungen abgeleitet werden. Induktives Denken basiert auf der Annahme, dass wiederholte Beobachtungen oder Erfahrungen auf allgemeine Muster oder Prinzipien hindeuten. Ein Beispiel für induktives Denken ist folgendes:
- Beobachtung: Jedes Mal, wenn ich einen Apfel fallen lasse, fällt er auf den Boden.
- Beobachtung: Jedes Mal, wenn meine Freunde einen Apfel fallen lassen, fällt er auf den Boden.
- Beobachtung: Jedes Mal, wenn Menschen auf der ganzen Welt einen Apfel fallen lassen, fällt er auf den Boden.
- Schlussfolgerung: Daher schließe ich, dass alle Objekte, die fallen gelassen werden, auf den Boden fallen.
Es ist wichtig anzumerken, dass Induktion aufgrund der begrenzten Beobachtungen oder Erfahrungen immer zu gewissen Unsicherheiten führt. Eine Schlussfolgerung aufgrund induktiven Denkens kann immer widerlegt werden, wenn neue Beobachtungen oder Erfahrungen gemacht werden.
Zusammenfassend kann man sagen, dass Deduktion von Allgemeinem auf Spezifisches schließt, während Induktion von Spezifischem auf Allgemeines schließt. Deduktion bietet gewöhnlich eine hohe Gewissheit, während Induktion zu wahrscheinlichen Schlussfolgerungen führt, aber nicht notwendigerweise zu absoluten Wahrheiten. Die Deduktion und Induktion sind somit zwei grundlegende Methoden des logischen Denkens und des wissenschaftlichen Untersuchens. Sie werden in verschiedenen Bereichen der Philosophie, Mathematik, Logik und Wissenschaft angewendet.
3.1.2 Determinismus
“Alles ist bestimmt, der Anfang wie das Ende, durch Kräfte, über die wir keine Kontrolle haben. Es ist sowohl für das Insekt als auch für den Stern bestimmt. Ob Mensch, Gemüse oder kosmischer Staub, wir alle tanzen nach einer geheimnisvollen Melodie, die in der Ferne von einem unsichtbaren Pfeifer intoniert wird.” — Albert Einstein
Ist das Universum determiniert (lat. vorbestimmt) und lassen sich alle Ereignisse in der Vergangenheit und der Zukunft nach den Gesetzen der Physik vorhersagen? Wir haben die Logik der alten Griechen von unter anderem Aristoteles verstanden. Wir können über Deduktion und Induktion logische Schlüsse über die Welt um uns herum ziehen. Damit können wir durch das logische Verknüpfen von Aussagen zu allgemeinen Erkenntnissen gelangen. Nun fragen wir uns wie die Welt funktioniert.Damit sollte sich doch logisch die Realität und deren Gesetzte erklären lassen. Das hat sich auch Pierre-Simon Laplace (1749–1827) gedacht und kommt zu folgenden Schluss über die Welt.
“Wir müssen also den gegenwärtigen Zustand des Universums als Folge eines früheren Zustandes ansehen und als Ursache des Zustandes, der danach kommt. Eine Intelligenz, die in einem gegebenen Augenblick alle Kräfte kennt, mit denen die Welt begabt ist, und die gegenwärtige Lage der Gebilde, die sie zusammensetzen, und die überdies umfassend genug wäre, diese Kenntnisse der Analyse zu unterwerfen, würde in der gleichen Formel die Bewegungen der größten Himmelskörper und die des leichtesten Atoms einbegreifen. Nichts wäre für sie ungewiss, Zukunft und Vergangenheit lägen klar vor ihren Augen.” — Pierre-Simon Laplace
Nach dieser Aussage wäre es theoretisch möglich, eine Weltformel aufzustellen. Wir nennen diese Veranschaulichung auch den Laplaceschen Dämon. Der Laplaceschen Dämon ist die Veranschaulichung der erkenntnis- und wissenschaftstheoretischen Auffassung, nach der es im Sinne der Vorstellung eines geschlossenen mathematischen Weltgleichungssystems möglich ist. Grundlage dieses Gedankens ist der Gesetzesdeterminismus. Das Universum gleiche einem logischen Uhrwerk; eine Intelligenz habe das Universum mit seinen Gesetzen so geschaffen, wie ein Uhrmacher die perfekte Uhr bauen würde.
Ein ein Beispiel für den Determinismus wollen wir uns einmal unser Sonnensystem anschauen. Der Aufbau unseres Sonnensystems war ja Jahrtausende unbekannt. Wir wollen die flache Erde gleich hinter uns lassen und betrachten den Globus Erde im Planetensystem. Die ersten Theorien setzten die Erde in den Mittelpunkt. In Abbildung 3.3 sehen wir einmal das sehr vereinfachte geozentrische Weltbild (altgriechisch erdzentriert), welches auf der Annahme basiert, dass die Erde und damit auch der Mensch im Universum eine zentrale Position einnehmen, so dass alle Himmelskörper, wie Mond, Sonne, die anderen Planeten und die Fixsterne, die Erde umkreisen.
Das geozentrische Weltbild entspricht dem unmittelbaren Augenschein und wurde schon im klassischen Altertum in Griechenland, insbesondere bei Aristoteles, detailliert ausgearbeitet. Genauso wie die Flache Erde dem Augenschein entspricht. Das geozentrische Weltbild ist somit auch wesentlich besser mit dem gesunden Menschenverstand übereinzustimmen als eine sich bewegende Erde. Bei der Bewegung der Erde müsste man doch einen Fahrtwind spüren und fallenden Gegenstände eine schräge Bahn besitzen.
Koperinikus (1473–1543) und Kepler (1571–1630) haben die gängigen Ansichten über die Realität hinterfragt und versucht die Unstimmigkeiten in den Beobachtungen am Sternenhimmel durch ein besseres Modell der Wirklichkeit zu ersetzen. Dies gelang beiden auch bis zu einem Punkt. Zusammen mit der Gravitationstheorie von Newton konnte ein schlüssiges Modell des Sonnensystems erstellt werden. Es gab zwar noch ein paar Fragen, aber hier können wir einmal Philipp von Jolly (1809–1884) zitieren der dem jungen Max Planck (1858–1947) folgenden Rat mitgab.
“Die Physik ist eine hochentwickelte, nahezu voll ausgereifte Wissenschaft, die nunmehr, nachdem ihr durch die Entdeckung der Energie gewissermaßen die Krone aufgesetzt wurde, wohl bald ihre endgültige stabile Form annehmen wird. Wohl gibt es vielleicht in einem oder dem anderen Winkel noch ein Stäubchen oder ein Bläschen zu prüfen und einzuordnen, aber das System als Ganzes steht ziemlich gesichert da, und die Theoretische Physik nähert sich merklich demjenigen Grade der Vollendung, wie ihn etwa die Geometrie schon seit Jahrhunderten besitzt.” – Philipp von Jolly zum jungen Max Planck 1874 (Ecker 2017)
Eine der Fragen, die Newotn nicht beantworten konnte, war die Frage nach der Übertragung der Information der Gravitation? Wenn die Gravitation eine Kraft ist, wie wird die Kraft übertragen. Wie weiß die Erde und der Mond, dass beide da sind? Woher weiß die Erde von der Graviation der Sonne? Wie wird die Kraft übertragen? Darüber hinaus stellte man noch eine andere zu beobachtende Anomalie fest. Diese Anomalie war nicht wegzudiskutieren, weil messbar. Im 19. Jahrhundert stellte man bei Bahnbeobachtungen des Merkur fest, dass seine tatsächliche Umlaufbahn von der Form einer Kepler-Ellipse abweicht. Der Fehler konnte mit verbesserter Teleskopen auf 43 Bogensekunden von 3600 Bogensekunden pro Jahrhundert reduziert werden. Somit ergab sich eine Abweichung von \(43/3600 = 0.012 = 1.2\%\). Auch wenn dieser Betrag sehr klein ist, bleibt das Ergebnis unvereinbar mit der Himmelsmechanik nach Isaac Newton (1642–1726).
Erst mit der allgemeinen Relativitätstheorie von Albert Einstein (1879–1955) war die Abweichung der Merkurlaufbahn hinreichend erklärbar. Massereiche Objekte krümmen die Raumzeit. Objekte laufen auf Bahnen entlang der gekrümmten Raumzeit und beeinflussen sich so gegenseitig. Es ist keine Kraft, die an den Objekten zieht sondern die Krümmung des Raums, welches Objekte beeinflusst. Somit war die theoretische Physik an einem Scheitelpunkt angekommen. Würde sich jetzt die Aussage von Philipp von Jolly erfüllen und alles wäre erklärt? Wie sich herausstellte gab es neben dem ganz Großen und deren Wechselwirkungen, den Planetenbewegungen und Objekten auf der Erde, noch die atomaren Wechselwirkungen. Die Effekte von Protonen auf Elektronen und das Verhalten von Atomkernen.
In der Abbildung 3.5 siehst du den Cartoon von Perscheid über den jungen Heisenberg. Kannst du erklären warum der Cartoon witzig ist, wenn du verstanden hast, was Heisenberg mit der Unschärferelation aussagen will?
Dann kam Werner Heisenberg (1901–1976) und formulierte 1927 die Heisenbergsche Unschärferelation, ein fundamentales Prinzip der Quantenmechanik. Die Heisenbergsche Unschärferelation besagt, dass zwei komplementäre Eigenschaften eines Teilchens nicht gleichzeitig beliebig genau bestimmbar sind. Die heisenbergsche Unschärferelation kann als Ausdruck des Wellencharakters der Materie betrachtet werden. Es herrscht ein Wellen-Teilchen-Dualismus vor. Wir können Elektronen oder Photonen als Welle oder aber als ein Teilchen beschrieben. Somit unterscheidet sich der konzeptionelle Aufbau der Quantenmechanik tiefgreifend von dem der klassischen Physik, so dass sich Einstein zu folgender Aussage hinreißen lies.
“Gott würfelt nicht!” — Albert Einstein
Bis zu seinem Tod stand Einstein mit der Quantentheorie und der statistischen Physik von Heisenberg und Co. im Zwiespalt. Die Idee, dass es zwei Modelle geben könnte, eines für die makroskopische Welt und eines für die atomare Welt, blieb für Einstein unbefriedigend. Wenn das kleinste Atom den Regeln des Zufalls folgt, dann kann es kein Weltengesetz nach Laplace geben. Wie soll etwas im Großen determiniert sein, wenn es im Kleinsten seines Aufbaues dem Zufall folgt? Hier ist die physikalische Forschung seit über einem Jahrhundert auf der Suche nach der Weltenformel, die die Quantenmeachnik mit der Gravitation zusammenbringt. So enden wir diesen Abschnitt mit dem 1. clarkschen Gesetz.
Die Unschärferelation gilt nicht nur in der Quantenwelt. Ort und Geschwindigkeit eines Elektrons lassen sich nicht gleichzeitig genau bestimmen. Doch auch in praktischen Bereichen wie Radarmessungen und Blitzern stößt man auf die Unschärferelation.
“Wenn ein angesehener, aber älterer Wissenschaftler behauptet, dass etwas möglich ist, hat er mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit recht. Wenn er behauptet, dass etwas unmöglich ist, hat er höchstwahrscheinlich unrecht.” — Arthur C. Clarke, 1. Gesetz
In der Abbildung 3.6 siehst du den Cartoon von Perscheid über den Dopplereffekt. Kannst du erklären warum der Cartoon witzig ist, wenn du verstanden hast, was der Dopplereffekt bedeutet? Ich habe dir als Hilfe nochmal die Abbildung 3.7 dazugetan, die die Wellenlänge des Lichts beschreibt.
Mehr Informationen zum Dopplereffekt und deren Anwendungen auf Wikipedia und ein toller Artikel, der nochmal anders ins Detail geht sowie auf Deutsch ist, ist die Seite zu Christian Doppler https://www.christian-doppler.net/
Eine spannende Frage. Weil die Sonne nicht scheint? Wenn du in jede Richtung in den Himmel schaust, müsstest du doch auf einen Stern schauen. Es gibt Trillionen an Sternen am Nachthimmel, so dass jeder beliebige Punkt mit einem Stern belegt sein muss. Und trotzdem ist der Nachthimmel nicht gleißend weiß. Mehr dazu auf der Welt der Physik - Warum ist es nachts dunkel? oder aber bei Spektrum - Warum ist es nachts dunkel?. Eine spannende Sache, wenn du die Erkenntnisse mit den Ergebnissen von Einstein abgleichst.
3.1.3 Eine neue physikalische Theorie des Lebens
“Die Wissenschaft fängt eigentlich erst da an interessant zu werden, wo sie aufhört.” — Justus von Liebig
Warum vergeht eigentlich Zeit? Was ist eigentlich Zeit? Und warum haben wir eigentlich Uhren, die auf einem 12er Zählung bzw. auf einer 2-mal-12-Stunden-Zählung und dann auf einer 60ziger Zählung beruhen? Zuerst klären wir einmal diese komische Anonmalie. Wir haben ein 60ziger System, da die alten Griechen es von den Ägyptern und diese wiederum von den Babylonier übernommen haben. Die 12 ist eine sehr spannende Zahl und hat viele Teiler, so dass mathematisch interessierte Babylonier die 12 höher werteten als die 10. Niemand wusste ja, dass wir mal mit dem Unsinn programmieren würden wollen. Zwar gab es dann kurz den versuch die Zeit auf die Dezimalzeit umzustellen und es wurde im Rahmen der französichen Revolution auch ein neuer Französischer Revolutionskalender erstellt, aber die Sache hat sich dann nicht so durchgesetzt. Zeit selber spielt übrigens erst seit der Erfindung der Eisenbahn eine echte Rolle. Vorher war es recht egal, wie genau die Uhren in der einen Stadt im Bezug zur anderen Stadt liefen. Man war ja eine ganz schön lange Zeit unterwegs, so dass Abweichungen nun auch keine Rolle mehr spielten.
Aber warum schreitet die Zeit eigentlich voran? Also warum gibt es ein gestern, heute und morgen? Dabei sind doch alle Naturgesetze in der klassischen Physik in der Zeit symmetrisch. Die Zeit ist auch symmetrisch im Bereich der neueren Entwicklungen wie der Relativitätstheorie als auch der Quantenphysik. Wir können also die Zeit in die eine Richtung laufen lassen wie auch in die andere Richtung. Daher gibt es eigentlich keinen physikalischen Grund, warum die Zeit immer nur in eine Richtung fortschreiten sollte. Es könnte also auch die Zeit rückwärts laufen. Der Tee und die Milch könnte sich in der Tasse der Queen wieder entmischen. Das passiert aber nicht.
Ein einziges Naturgesetz ist daran schuld und zwar der Zweite Hauptsatz der Thermodynamik. Der Zweite Hauptsatz der Thermodynamik besagt, dass alle Vorgänge immer nur so ablaufen, dass dabei die “Unordnung” größer und niemals kleiner werden wird. Leider ist der Begriff “Unordnung” physikalisch wissenschaftlich schwer zu definieren. Unordnung ist ein sehr weiter Begriff und vieles kann Unordnung bedeuten. Hier kommt es dann auch stark auf den Kontext an. Deshalb haben Physiker dafür das Wort Entropie erschaffen. Daher ist es die stets wachsende Entropie, die der Zeit einen eindeutigen Richtungspfeil aufzwingt. So kommen wir dann zu diesem Zitat von Rudolf Clausius (1822–1888), dem Entdecker des zweiten Hauptsatzes der Thermodynamik, Schöpfer der Begriffe Entropie.
“Bei jedem natürlichen Vorgang nimmt die Entropie zu.” — Rudolf Clausius
Die Entropie steigt also immer weiter an. Damit stehen wir aber vor einer interessanten Frage, wenn natürliche Vorgänge stets einen Ausgang mit höherer Entropie als der Eingangszustand bevorzugen, warum gibt es dann komplexes Leben? Wieso haben sich Makromoleküle als Grundlage des Lebens in der Ursuppe der Urerde gebildet, wenn es doch der Zunahme der Entropie widerspricht. Hier kommt die Idee von Jeremy England (2013) ins Spiel. Folgendes Zitat statt aus seiner wissenschaftlichen Arbeit zur einer neuen physikalische Theorie des Lebens.
“You start with a random clump of atoms, and if you shine light on it for long enough, it should not be so surprising that you get a plant.” — Jeremy England
Noch ein ergänzender Artikel des The Quanta Magazine A New Physics Theory of Life und das PDF des Orginalartikels. Sowie der Vortrags von Jeremy England \(\;\)No Turning Back: The Nonequilibrium Statistical Thermodynamics of becoming (and remaining) Life-Like
Die Idee von Jeremy England ist, dass wir durch kurzfristige Erniedrigung der Entropie durch komplexe Strukturen wie sie das Leben hervorbringt, langfristig ein sehr viel schnellere Erhöhung der Entropie erreichen. Das heißt im Umkehrschluss, dass der zweiten Hauptsatzes der Thermodynamik Leben und komplexere Lebensformen begünstigt. Jeremy England gibt ein Beispiel mit energiegeladenen Photonen, die von der Sonne abgestrahlt werden. In der Abbildung 3.8 siehst du, wie die energiegeladenen Photonen als kurzwelliges blaues Licht einen belebten Planeten treffen. Durch das Leben wird die Energie der Photonen durch Photosynthese sowie andere biologische Prozesse absorbieren. Bei den biologischen Prozessen entstehen jedoch mehr langwellige Photonen als kurzwellige auf den Planeten treffen, so dass in Summe zwanzig energiearme Photonen pro energiereichen Proton als langwelliges rotes Licht die Erde verlassen.
In Abbildung 3.9 siehst du als Gegenbeispiel einen unbelebten Planeten, der von einem Stern angestrahlt wird. Zwar werden auch die hochenergetischen Photonen des Sterns von dem unbelebten Planeten absorbiert und wieder abgestrahlt, aber die Umwandlung ist weit unter dem Wert, die ein belebter Planet verursachen würde.
Da wir uns hier natürlich nicht in aller Tiefe mit der Idee beschäftigen können, gibt es noch ein tolles Video zu Vertiefung mit dem Titel \(\;\)The Most Misunderstood Concept in Physics. Dort beschäftigt sich Veritasium mit der Frage, was erhalten wir eigentlich von der Sonne? Nein, Energie und Wärme ist nicht die richtige Antwort – mehr dazu dann im Video.
3.1.4 Evolutionstheorie
“It is not the strongest of the species that survives, nor the most intelligent that survives. It is the one that is most adaptable to change.” — Leon C. Megginson zugeschrieben Charles Darwin
Würmer. Konkreter waren es das der Feld der Regenwürmer was Darwin am meisten beschäftige und Jahrzehnte seiner Forschung bestimmte. Anfang des 19. Jahrhunderts galten Regenwürmer als Schädlinge insbesondere außerhalb der Agrarwissenschaft. Darwins genaue Beobachtungen ihrer Lebensweise sowie seine Experimente über ihr Hörvermögen, ihre Lichtempfindlichkeit, ihr Kälte- und Wärmeempfinden und die Tätigkeit ihrer Reflexe führten dazu, dass sich das Wissen um die Nützlichkeit von Regenwürmern für den Ackerbau rasch verbreitete und auch außerhalb von Fachkreisen durchsetzte.
Darwin entwickelte die Evolutionstheorie während seiner Fahrt mit dem Segelschiff Beagle, die von Ende Dezember 1831 bis Oktober 1836 dauerte und ihn zu Küstenregionen und Inseln der südlichen Erdhalbkugel führte. An Bord der Beagle war Darwin als unbezahlter Naturforscher tätig. Darwin präsentierte erstmals eine frühe Version seiner Evolutionstheorie im Jahr 1858. Das Buch, in dem er seine Theorie ausführlich darlegte, “On the Origin of Species by Means of Natural Selection”, wurde 1859 veröffentlicht und war am Tag seines Erscheinens ausverkauft. Darwin betonte, dass Selektion ein entscheidender Faktor bei der Evolution ist. Obwohl zu Darwins Zeiten nur begrenzte genetische Kenntnisse vorhanden waren, erkannte Darwin die Zusammenhänge, die er auf seinen Reisen beobachtete, richtig.
Die Bone Wars war eine persönliche und wissenschaftliche Auseinandersetzung der beiden US-amerikanischen Paläontologen Othniel Charles Marsh und Edward Drinker Cope gegen Ende des 19. Jahrhunderts.
Im Gegensatz zu den Theorien Darwins, stelle Lamarck eine andere Evolutionstheorie auf. Der nach ihm benannte Lamarckismus war eine der frühen Evolutionstheorien um 1800. Der Lamarckismus besagt dabei, dass jede Art eine eigne Urform besitzt und dass diese Urform den Drang hat, sich möglichst perfekt anzupassen. Jede Art hat also einen innewohnenden Hang zum Perfektionismus. Dabei beeinflussen sich die ändernden Umweltbedingungen und die wechselnden Bedürfnisse der Tiere gegenseitig. Dadurch führt der Gebrauch bestimmter Organe zu ihrer Ausprägung, während der Nichtgebrauch bestimmter Organe zu ihrer Rückbildung führt. Diese erworbenen Eigenschaften werden dann an die Nachkommen weitervererbt. Beim Lamarckismus ist die Entwicklung gerichtet, und Arten entwickeln sich von einfachen zu komplexen Organismen. Jede Art hat eine eigene lineare Evolutionslinie und keinen gemeinsamen Vorfahren. Ein bedeutendes Problem zur Zeit von Lamarck war die Frage nach dem möglichen Aussterben von Arten. Die Frage kam auf als immer mehr Funde von Fossilien auftauchten, die keinen heutigen Tieren zugeordnet werden konnten. Lamarck bestritt jedoch weitgehend, dass Arten aussterben können. Die Fossilien seien vielmehr Ausprägungen einer bekannten Tierart, die jetzt nicht mehr existieren, da die Ausprägung nicht mehr notwendig ist.
Der Lamarckismus basiert auf einer willentlichen Ausübung der Evolution. Damit ist die Evolution von der Spezies gesteuert. Wir haben hier also wieder den Gedanken des Determinismus vorliegen. Das Schicksal einer Spezies ist in dem Sinn determiniert, dass es nur von einfach zu komplex geht und eine Spezies immer perfekter wird. Der Paradigmenwechsel von Darwin war die Idee, dass wir es mit Populationen von Arten zu tun haben und in diesen Population alle möglichen Eigenschaften schon in sich tragen. Die Populationen folgen einer Wahrscheinlichkeitsverteilung. Es gibt sehr viele Individuen mit den häufisgten Merkmalen aber auch ein paar wenige Individuen mit den seltenen Merkmalen. So kann es durch Naturereignisse, Zufälle oder anderer Ereignisse zu einer Selektion kommen. Durch die Selektion setzen sich vorher seltene Merkmale durch und die Merkmalsträger werden häufiger in der Population.
Die Große Sauerstoffkatastrophe (abk. GOE, eng. great oxygenation event) veränderte die Welt vor etwa 2,4 Milliarden Jahren grundlegend. Der Verursacher war eine Alge. Konkret die Blaualge. Somit spielt die Blaualge eine bedeutende Rolle in der Entwicklung des Lebens auf der Erde. Vor dem Auftreten der Blaualge war die Atmosphäre der Erde reduzierend, nach dem Auftreten der Blaualge oxidierend. Die Entwicklung der Erdatmosphäre machte einen erneuten Sprung. Große Mengen an Eisen oxidierten und sammelten sich in so genannten Bändererzen.
Im Weiteren Verlauf der Evolution wurde die Blaualge in andere Organismen aufgenommen. Dieses Integrieren ist die Idee der Endosymbiontentheorie. Die Endosymbiontentheorie besagt, dass die Chloroplasten in pflanzlichen Lebewesen vermutlich durch die Aufnahme durch Phagozytose von Cyanobakterien in die Ur-Form der pflanzlichen Zelle entstanden sind. Dafür spricht unter anderem die eigene DNA der Chloroplasten. Das gleiche gilt auch für die Mitochondrien in eukaryotischen Zellen.
Siehe dazu auch die Cyanobakterien oder Blaualgen: Bedeutung der Cyanobakterien für die Entwicklung des irdischen Lebens.
3.1.5 Wiener Schule
Der folgende Text ist ein Lehrtext für Studierende. Es handelt sich keinesfalls um eine textliche Beratung und gewiss nicht um eine medizinische Einordnung zur Tiefenpsychologie. Dieser Abschnitt beschäftigt sich einzig und allein mit dem philosophischen und geschichtlichen Hintergrund der Psychologie und deren Vertretern in dem Kontext ihrer Zeit am Anfang des 20. Jahrhunderts. Für Hilfe in akuten Krisen und Anlaufstellen informiert auch das Studentenwerk Osnabrück oder die entsprechenden Anlaufstellen des Kreises.
“Wenn dich etwas Äußeres bedrückt, so liegt der Schmerz nicht an der Sache selbst, sondern an deiner Einschätzung derselben; und diese kannst du jederzeit widerrufen.” — Marcus Aurelius
Der gute alte Determinismus mag zwar auf der Ebene des Universums und der physikalischen Naturgesetze nicht funktionieren, aber könnte er möglicherweise in der Psychologie eine Rolle spielen? Ist es denkbar, dass der Mensch von vorbestimmten psychologischen Abläufen gesteuert wird? Dies könnte als nächste Kränkung der Menschheit betrachtet werden. Sigmund Freud (1856–1939) behauptete, dass der Mensch noch nicht Herr seiner eigenen Handlungen ist, sondern vom Unbewussten gelenkt wird. Dies führt dazu, dass wir durch Freuds Perspektive wieder zum Determinismus zurückkehren.
Es mag paradox erscheinen, aber es gibt etwas Befreiendes darin, anzunehmen, dass wir Opfer unseres eigenen Unbewussten sind. Wenn alle unsere negativen Eigenschaften und Gewohnheiten nicht direkt unter unserer Kontrolle stehen, fühlen wir uns vielleicht von der Verantwortung entlastet und können uns von Selbstkritik befreien. Es entsteht ein Gefühl, dass wir nicht persönlich für unser Verhalten verantwortlich gemacht werden können, da es durch unsichtbare Kräfte gelenkt wird.
Jedoch sollten wir bedenken, dass die Perspektive des Unbewussten als Determinismus auch bedeuten kann, dass wir uns unseren eigenen inneren Prozessen nicht bewusst sind und somit keine Möglichkeit haben, unser Verhalten bewusst zu lenken. Dies könnte uns daran hindern, uns selbst weiterzuentwickeln und Veränderungen in unserem Leben herbeizuführen. Fangen wir also an uns mal mit den verschiedenen Aspekten der Forschung in der Psychologie zu beschäftigen.
Verschiedene Studien und Metaanalysen zeigen, dass die Psychoanalyse und andere Anwendungen und Verfahren der Tiefenpsychologie effektiv und wirksam in der Behandlung psychischer Störungen sind (De Maat u. a. 2009). Eine Diskussion über diese Ergebnisse findet hier nicht statt. Wir wollen uns mit dem Paradigmenwechsel und den Ideen hinten der Konzepten und Ideen beschäftigen. All dies ist nämlich ein Teil eines Forschungsprozess in dem Bereich der Tiefenpsychologie zu Beginn des 20. Jahrhundert.
Freud ist aber nur ein Vertreter der Wiener Schule der Psychologie, die sich mit dem Individuum und seinen Seelenleben und Gefühlen beschäftigte. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts entstanden aber parallel grob folgende drei Hauptströmungen der Psychologie. Jede dieser Richtungen hat andere philosophischen Annahmen an das Ich und dem Selbst. Daher schauen wir uns diese drei Richtungen mal etwas genauer an.
- die Psychoanalyse nach Sigmund Freud (1856—1939),
- die Existenzanalyse von Viktor Frankl (1905–1997)
- die Individualpsychologie nach Alfred Adler (1870–1937)
Sigmund Freud erkannte die Existenz eines inneren unbewussten Bereichs im Menschen, der sein bewusstes Handeln maßgeblich lenkt. Er widmete sich der Erforschung dieses Aspekts durch die Anwendung der Psychoanalyse, bei der er spontane Äußerungen oder Träume seiner Patienten analysierte. Freud betrachtete diese Träume und Äußerungen als verschlüsselte Hinweise auf das Unbewusste. Diese Forschung führte zur Entstehung des Drei-Instanzen-Modells, bestehend aus dem “Ich”, dem “Es” und dem “Über-Ich”.
Im “Es” lokalisierte Freud die primären Triebe, während das “Über-Ich” das Moralitätsprinzip und somit das Gewissen in sich trug. Das “Ich” nahm die Rolle eines Vermittlers zwischen diesen beiden Polen ein. Das “Ich” beinhaltet auch bewusste Überzeugungen und Auffassungen über die Umwelt und ist somit ein wesentlicher Bestandteil der Persönlichkeit.
Die Psychoanalyse beruht auf der Annahme, dass ein Mensch nicht alle Faktoren kennt, die sein Leben beeinflussen. Laut Sigmund Freud werden einige, vielleicht sogar die meisten, Konflikte in unserem Leben ins Unterbewusstsein verdrängt. Diese unbewussten Konflikte können sich auf unser Verhalten und unsere Entscheidungen auswirken, ohne dass wir uns ihrer bewusst sind. Durch die psychoanalytische Arbeit können diese verdrängten Konflikte ans Licht gebracht und besser verstanden werden, was dem Individuum helfen kann, sich selbst und sein Verhalten besser zu verstehen und möglicherweise negative Muster zu durchbrechen.
Viktor Frankl , der etwas später als Freud lebte, entwickelte die Logotherapie oder Existenzanalyse. Der Begriff “Logotherapie” ist abgeleitet von logos, was Sinntherapie bedeutet. Somit ist die Existenzanalyse eine sinnzentrierte Psychotherapie mit dem Ziel, Lebensbejahung wiederzugewinnen und Lebensangst abzubauen. Die Logotherapie zielt darauf ab, Menschen dabei zu unterstützen, einen tieferen Sinn in ihrem Leben zu finden und dadurch seelische Gesundheit und Erfüllung zu erlangen. Im Zentrum steht die Idee, dass der Mensch in der Lage ist, auch unter schwierigsten Bedingungen Sinn und Bedeutung zu finden und dadurch seine innere Stärke zu entfalten. Er glaubte, dass der Mensch ein wesenbestimmtes, entscheidungs- und willensfreies Wesen ist.
“Wer ein ‘Warum’ zum Leben hat, kann fast jedes ‘Wie’ ertragen.” — Viktor Frankl
Die zentrale Triebkraft der Existenzanalyse liegt in der Definition des Lebenssinns. Der Mensch strebt danach, einen Sinn in seinem Leben zu finden und diesen zu verwirklichen. Die Existenzanalyse zielt darauf ab, den Menschen dabei zu unterstützen, ihren Lebenssinn zu entdecken und ihre Werte zu erkennen, um eine tiefere Erfüllung und Motivation im Leben zu erfahren.
“Das Leben fragt und du musst antworten.” — Viktor Frankl
Ein bedeutendes Werk von Viktor Frankl ist sein Buch “…trotzdem Ja zum Leben sagen: Ein Psychologe erlebt das Konzentrationslager” (Frankl 2010), das im Jahr 1946 veröffentlicht wurde. In diesem Buch schildert Frankl seine Erlebnisse und Erfahrungen in vier verschiedenen Konzentrationslagern. Aus diesen Erfahrungen entwickelte er den Begriff der “Trotzmacht des Geistes”. Damit meinte er, dass die emotionale Ebene des Menschen, die aus dem Körperlichen und Seelischen besteht, sich mit der existenziellen Ebene auseinandersetzen und über sie erheben kann. Dies verdeutlicht die Freiheit des menschlichen Willens und die Fähigkeit, sich trotz widriger Umstände mit der eigenen Situation auseinanderzusetzen und daraus etwas zu machen. Viktor Frankl betonte, dass diese Fähigkeit unabhängig von den äußeren Umständen besteht, selbst wenn die allgemeine Lage äußerst schwierig ist.
“Alles kann einem Menschen genommen werden, nur eines nicht: die letzte der menschlichen Freiheiten - die Wahl der eigenen Haltung in einer gegebenen Situation, die Wahl des eigenen Weges.” — Viktor Frankl
Die existenzanalytische Psychotherapie hat das Ziel, dem Menschen dabei zu helfen, mit innerer Zustimmung zu seinem Handeln und Dasein zu leben. Dabei wird betont, dass jeder Mensch für sich selbst den Sinn des Lebens definiert. Dieser individuelle Sinn kann sich im Laufe des Lebens verändern, ähnlich wie das Leben selbst stetig im Wandel ist. In diesem Kontext ist auch das längere Zitat von Viktor Frankl zum Erfolg und Glück im Leben zu verstehen.
“Zielen Sie nicht auf den Erfolg. Je mehr man ihn anvisiert und zu einem Ziel macht, desto mehr wird man ihn verfehlen. Denn der Erfolg kann, wie das Glück, nicht angestrebt werden; er muss sich einstellen, und zwar nur als unbeabsichtigte Nebenwirkung des persönlichen Einsatzes für eine Sache, die größer ist als man selbst, oder als Nebenprodukt der Hingabe an eine andere Person als die eigene. Das Glück muss sich einstellen, und dasselbe gilt für den Erfolg: Man muss ihn zulassen, indem man sich nicht darum kümmert. Ich möchte, dass du auf das hörst, was dein Gewissen dir befiehlt, und es nach bestem Wissen und Gewissen ausführst. Dann werden Sie erleben, dass Ihnen der Erfolg auf lange Sicht - ich sage auf lange Sicht - gerade deshalb folgen wird, weil Sie vergessen haben, daran zu denken.” — Viktor Frankl
Frankl betont, dass was für eine Person als erfolgreich und glücklich empfunden wird, kann sich von dem unterscheiden, was für jemand anderen von Bedeutung ist. Jeder Mensch hat die Freiheit und Fähigkeit, seinen eigenen Sinn und seine eigenen Ziele zu entdecken und zu verfolgen.
Neben Sigmund Freuds psychoanalytischer Theorie entwickelte Alfred Adler zur gleichen Zeit die Individualpsychologie. Adlers Schule betrachtet den Menschen als eine einzigartige und ganzheitliche Persönlichkeit, deren Handeln auf bestimmte Ziele ausgerichtet ist. Hierbei wird betont, dass der Mensch immer einen Zweck hat und somit zweckgetrieben ist. Adler betont, dass es keine individuelle Vergangenheit im Sinne von vorbestimmten Ereignissen gibt, die das Schicksal eines Menschen unveränderlich festlegen. Stattdessen glaubt Adler, dass der Mensch seinen eigenen “Zweck” konstruiert, also seine Ziele und Absichten selbst erschafft und verfolgt.
Im Gegensatz zum deterministischen Ansatz, der besagt, dass das Schicksal eines Menschen von vorherbestimmten Faktoren beeinflusst wird, betont die Individualpsychologie die aktive Rolle des Individuums bei der Gestaltung seines Lebens. Dieser Ansatz betont die Selbstbestimmung und die Verantwortung jedes Menschen für sein eigenes Handeln und seine Lebensgestaltung. Ein zentraler Fokus der Individualpsychologie liegt auf der Position des Einzelnen innerhalb seines sozialen Umfelds sowie auf den Mustern seiner Beziehungsgestaltung. Adler betonte die Bedeutung sozialer Interaktionen und Beziehungen für die individuelle Entwicklung und das Verständnis menschlichen Verhaltens. Dabei nimmt jeder Mensch die Verantwortung für seine Aufgaben in seinem Einflussbereich selbst in die Hand und lässt nicht zu, dass andere diese Aufgaben und Entscheidungen für ihn übernehmen.
“Du lebst nicht um die Erwartungen anderer Menschen zu erfüllen” — Kishimi und Koga (2018)
Adler glaubte, dass jeder Mensch bestrebt ist, sein Selbstwertgefühl zu stärken und sich in der Gesellschaft anzupassen. Hierzu entwickeln Individuen Kompensationsmechanismen, um wahrgenommene Minderwertigkeitsgefühle zu überwinden. Diese Mechanismen können sich auf unterschiedliche Weise manifestieren, wie beispielsweise durch Leistungsstreben, Machtstreben oder das Streben nach Anerkennung. Adler lehnte daher das Loben und das Tadeln als Werkzeug der Wertschätzung und Herabsetzung ab.
Die beiden Bücher von Kishimi und Koga (2018) & (2020) stellen in Dialogform die Ideen Adlers vor. Interessanterweise haben die Ideen Adlers in Japan sehr viel Anklang gefunden. Hier ein paar zentrale Gedanken, die sich aus den Büchern ergeben.
- Alle Probleme sind zwischenmenschliche Beziehungsprobleme.
- Aufgabentrennung, die Aufgaben anderer abweisen. Wer erhält am Ende das Resultat, das sich aus der Entscheidung ergibt?
- Freiheit bedeutet auch, von anderen nicht immer gemocht zu werden.
- Glück heißt, einen Beitrag leisten.
- Lebe im Hier und Jetzt, ohne dich von der Vergangenheit oder einer unbestimmten Zukunft quälen zu lassen.
Die Individualpsychologie von Alfred Adler hebt somit die Einzigartigkeit und Zielgerichtetheit jedes Individuums hervor und betont die Rolle sozialer Interaktionen und Beziehungen für die psychische Entwicklung. Sie unterstreicht auch die persönliche Verantwortung jedes Menschen für sein eigenes Handeln und die Gestaltung seines Lebens im Kontext seiner sozialen Umgebung.
Carl Jung (1875–1961) brauchte uns ein anderes sehr populäres aber oft missverstandenes Konzept. Das Konzept der Introvertiertheit sowie der Extrovertiertheit wird dabei oft sehr grob und falsch zusammengefasst. Introvertierte Personen sind dabei schüchtern und in sich gekehrt. Extrovertierte Personen seien dagegen sehr sozial und offen. Das stimmt aber mit dem ursprünglichen Konzept von Jung nur zu sehr begrenzten Teilen überein. Das zentrale Konzept in Jungs Psychologie ist die Unterscheidung zwischen Introversion und Extraversion als grundlegende Persönlichkeitsmerkmale. Diese Begriffe wurden von Jung geprägt und haben einen wichtigen Einfluss auf das Verständnis der menschlichen Persönlichkeit.
Für Jung repräsentiert dabei Introversion eine Ausrichtung auf die innere Welt des Individuums. Introvertierte Menschen neigen dazu, ihre Energie aus ihren eigenen Gedanken, Gefühlen und Empfindungen zu beziehen. Sie bevorzugen oft ruhige und abgeschiedene Umgebungen, um sich zu regenerieren und aufzuladen. Introvertierte sind in der Regel nach innen gerichtet und können tiefe Reflexionen und introspektive Fähigkeiten haben.
Im Gegensatz dazu steht Extraversion für eine Ausrichtung auf die äußere Welt. Extrovertierte Menschen gewinnen Energie aus ihrer Interaktion mit der äußeren Umgebung, durch soziale Interaktionen und Aktivitäten. Sie sind oft kontaktfreudig, gesellig und suchen nach externen Reizen und Herausforderungen. Extravertierte neigen dazu, ihr Umfeld aktiv zu gestalten und zeigen oft eine offene und expressive Persönlichkeit.
Jung betonte, dass jeder Mensch eine individuelle Kombination von Introversion und Extraversion aufweist. Es geht nicht darum, eine dieser Ausrichtungen als besser oder schlechter zu bewerten, sondern vielmehr darum, die persönlichen Präferenzen und Stärken des Einzelnen zu erkennen und zu akzeptieren.
Schaue dazu gerne noch mehr auf \(\;\)Carl Jung’s Theory on Introverts, Extraverts, and Ambiverts.
Wie auch viele andere Wissenschaftler grenzte sich Erich Fromm (1900–1980) von Freud ab. Fromm lehnte das Freud’sche Konzept des Individuums als isoliertem, triebgesteuertem Wesen ab. Er betont dagegen die ursprüngliche Verbindung des Menschen zu seinen Mitmenschen. Fromm beruft sich nicht nur auf Klassiker der Philosophie, sondern auch auf den Zen-Buddhismus. Er kritisiert die westliche kapitalistische Gesellschaft, deren Prinzipien er für unvereinbar mit seinem Begriff von Liebe hält. Das kapitalistische Grundgefühl des Mangels als Triebfeder für den Konsum und das Wirtschaftssystem lasse sich nicht mit seinem Begriff der Liebe vereinbaren.
“Liebe ist eine Entscheidung, ein Urteil, ein Versprechen. Wenn die Liebe nur ein Gefühl wäre, gäbe es keine Grundlage für das Versprechen, einander für immer zu lieben. Ein Gefühl kommt und kann gehen. Wie kann ich urteilen, dass es für immer bleibt, wenn meine Handlung kein Urteil und keine Entscheidung beinhaltet.” — Erich Fromm, Die Kunst des Liebens
In seinem Buch die Die Kunst des Liebes beschäftigt sich Fromm mit den Arten der Liebe und deren Herausforderungen. Zwar ist das Buch mittlerweile auch gesellschaftlich in die Jahre gekommen und einige Kapitel passen nicht mehr in den heutigen Zeitgeist, aber die Grundzüge und Prämissen sidn erstaunlich aktuell.
“Liebe ist eine Aktivität und kein passiver Affekt. Sie ist etwas, das man in sich selbst entwickelt, nicht etwas, dem man verfällt.” — Erich Fromm, Die Kunst des Liebens
Laut Fromm ist Liebe kein passiver Affekt, sondern eine Haltung, eine aktive Tätigkeit und Fähigkeit, die man genauso erlernen muss wie ein Handwerk. Dabei ist Lieben wichtiger als Geliebtwerden, Geben wichtiger als Empfangen. Voraussetzung für die reife und erfüllende Partnerliebe ist die Liebe zu allen Menschen und zu sich selbst.
“Die infantile Liebe folgt dem Prinzip: ,Ich liebe, weil ich geliebt werde.’ Die reife Liebe folgt dem Prinzip: ,Ich werde geliebt, weil ich liebe.’ Die unreife Liebe sagt: ,Ich liebe dich, weil ich dich brauche.’ Die reife Liebe sagt: ,Ich brauche dich, weil ich dich liebe.” — Erich Fromm, Die Kunst des Liebens
Weil es auch so ein wichtiges Thema ist, gibt es hierzu auch einige tolle Videos, die versuchen diesen Wirrniss aus Liebe und Pratnerschaftlichkeit einmal auseinanderzunehmen. Besuche doch einfach mal die \(\;\)The School of Life - Learn, Heal, Grow
“Intimacy is the capacity to be rather weird with someone - and finding that that’s ok with them.” — Alain de Botton
Alles kalter Kaffee? Alles schon mal da gewesen? Mark Aurel (121–180) war von 161 bis 180 römischer Kaiser und als Philosoph der letzte bedeutende Vertreter der jüngeren stoischen Philosophie. Viele Ideen und Konzepte von Frankl, Adler und Fromm finden ihren Ursprung oder ihren Resonanzraum in den Ideen der Stoiker. Da es sich auch hier um eine ganze Schule handelt, kann ich nur kurz zusammenfassen, was die Kernideen der Stoiker sind. Dabei ist wichtig, das stoisch im allgmeinen Sprachgebrauch kalt oder emotionslos bedeutet, aber nicht weiter weg von der Idee der stoischen Philosophie sein kann. Wenn du dich mehr mit der stoischen Philosophie beschäftigen willst, dann gibt es einen tollen Kanal auf \(\;\)Daily Stoic oder aber ein sehr schön animiertes Video mit dem Titel \(\;\)Marcus Aurelius: The Man Who Solved the Universe. Schau da einfach mal rein.
Was sind also die Kernaussagen der stoischen Philosophie? Einmal ein schneller und unvollständiger Überblick von mir.
- Amor fati (lat. Liebe zum Schicksal) — Es ist nicht dir passiert. Es ist für dich passiert. Das Schicksal hat es für dich ausgesucht. Akzeptiere es, nimm es an, ertrage es, mach etwas daraus.
- Die Frucht dieses Lebens ist ein guter Charakter und Taten für das Gemeinwohl.
- Memento morti. Du könntest jetzt aus dem Leben scheiden. Das Leben ist kurz.
- Wir leiden mehr in der Phantasie als in der Wirklichkeit.
- Wir alle lieben uns selbst mehr als andere Menschen, kümmern uns aber mehr um deren Meinung als um unsere eigene.
- Du hast immer das Recht, keine Meinung zu einem bestimmten Thema zu haben.
Wir sich schon aus den Kursen Leitsätzen ergibt, geht es in der stoischen Philosophie um die Kontrolle des Individuums über seine eigenen Emotionen. Es gibt viele Dinge außerhalb des eignen Wirkungsraum und nur ganz wenige Dinge im eigenen Wirkungsraum. Diese Dinge voneinander zu trennen und sich auf das eigene Tun zu konzentrieren ist ein wichtiger Punkt dabei. Dabei hat der Mensch jederzeit die Fähigkeit zu entscheiden, ob er sich mit einer Thematik beschäftigen möchte oder eben nicht. Der Mensch hat prinzipiell die Kontrolle über seine Emotionen, denn die Emotionen werden in jedem Menschen selbst erschaffen.
“Ich werde dir ein Geheimnis verraten. Etwas, das sie dir in deinem Tempel nicht beibringen: die Götter sind neidisch auf uns. Sie beneiden uns, weil wir sterblich sind, weil jeder Augenblick unser letzter sein kann. Alles ist schöner, weil wir dem Tode geweiht sind. Du wirst nie schöner sein, als du jetzt bist. Wir werden nie wieder hier sein.” — Achilles, Troja
Jetzt haben wir uns verschiedene Strömungen der Wiener Schule angesehen und auch nochmal über den Rand geschaut. Dabei haben wir verschiedene Ideen über die Psyche des Menschen kennen gelernt. Je nachdem wie du jetzt selber gestrickt bist, mag dir das eine oder andere mehr zusagen. Vielleicht findest du die Ideen von Freud einleuchtend und Adlers Ideen eher schräg oder es ist genau andersherum. Wie es auch immer sei, steht natürlich jetzt die zentrale Frage im Raum: “Wer hat jetzt recht? Was ist denn nun wahr?” Hat Freud recht, dass wir alle vom ES bestimmt werden? Sind wir doch freier wie Frankl, Adler oder Fromm behaupten? Oder ist das alles schon durch seit der römischen Kaiser? Hier kommen wir dann zu Karl Popper (1902–1994). Popper begründete den kritischen Rationalismus und legte damit den Grundstein für das heutige wissenschaftliche Arbeiten.
“Das Spiel der Wissenschaft ist im Prinzip ohne Ende. Wer eines Tages entscheidet, dass wissenschaftliche Aussagen keiner weiteren Prüfung bedürfen und als endgültig verifiziert gelten können, scheidet aus dem Spiel aus.” — Karl Popper
Da wir niemals alles in der Wissenschaft untersuchen können, was möglich ist. Also hat Popper vorgeschlagen den Ansatz einmal zu drehen. Anstatt alle wissenschaftlichen Hypothesen zu belegen und dafür Jahrhunderte zu brauchen, stellen wir eine Theorie auf, die falsifizierbar ist. Wir sagen also, alle Schwäne sind weiß. Wir glauben an diese “Theorie” und halten an der Aussage fest, bis wir einen schwarzen Schwan finden. Wir können also mit der Theorie der weißen Schwäne weit erforschen ohne das wir jeden einzelnen Schwan anschauen müssen, bevor wir weitermachen können.
Lies gerne in dem Eassy Wie man Poppers philosophischen Knüppel in einen Blumenstrauss für die Psychoanalyse verwandelt weiter, wenn dich die Sachlage interessiert.
3.1.6 Falsifikationsprinzip
“Soweit eine wissenschaftliche Aussage über die Realität spricht, muss sie falsifizierbar sein; und soweit sie nicht falsifizierbar ist, spricht sie nicht über die Realität.” — Karl Popper
Du findest auf YouTube Grundlagen der Wissenschaft und Falsifikationsprinzip als Video Reihe.
Im vorherigen Abschnitt sind wir ja nochmal kurz auf Karl Popper eingegangen. Deshalb hier nochmal kurz in anderen Worten zusammengefasst, wenn du keine Lust hast nochmal woanders quer zu lesen. Karl Popper ging davon aus, dass die Annäherung an die Wahrheit für Menschen das höchste Ziel sei, jedoch eine endgültige Bestätigung oder Verifikation unmöglich sei, da nicht alle möglichen Fälle untersucht werden können. Wir können also nicht alle Experimente in endlicher Zeit durchführen bevor wir eine Theorie bewiesen und damit verifiziert haben.
Einzig das Ergebnis einer Falsifikation könne als vorläufig gesichert gelten. Auf dieser Grundlage leitete Popper eine strenge, aber auch tolerante Vorgabe für neue und ungewöhnliche Theorien ab: Jede Idee könne als wissenschaftliche Theorie betrachtet werden – unter der Bedingung, dass sie durch Falsifikation überprüfbar ist! Dieser Ansatz sollte sicherstellen, dass man entweder mit widerlegten oder noch nicht ausreichend abgesicherten Theorien arbeitet. Da wissenschaftlicher Fortschritt oft auf bereits Vorhandenem aufbaut, erlaubte Popper jedoch vorübergehend, Theorien zu akzeptieren, die bereits mehreren Falsifikationsversuchen standgehalten hatten – natürlich nur so lange, bis sie schlussendlich widerlegt werden würden.
Nehmen wir einmal als Beispiel die Evolutionsthoerie nach Darwin. Wir können die Evolutionstheorie nicht verifizieren. Wir müssen für jedes Wesen auf dem Planeten nachweisen, dass es den Regeln und Gesetzen der Evolution nach Darwin unterliegt. Das ist purer Wahnsinn und nicht machbar. Besonders wenn wir noch vergangene und zukünftige Arten mit einschließen. Deshalb sehen wir die Evolutionstheorie als wahr an, bis wir Teile der Theorie falsifizieren können. Meistens können wir immer nur Teile einer Theorie falsifizieren und dann müssen wir schauen, ob der Rest noch standhält oder aber unsere ganze schöne Theorie zusammenbricht.
“Die Phänomene der Natur, insbesondere diejenigen, die in den Bereich des Astronomen fallen, sind nicht nur mit der üblichen Aufmerksamkeit für die Tatsachen, wie sie auftreten, sondern mit dem Auge der Vernunft und der Erfahrung zu betrachten.” — William Herschel
Fangen wir einmal mit einem nicht so sehr bekannten Beispiel an. William Herschel (1738–1822) entdeckte den Planeten Uranus. Er war ein begnadeter Astronom der zu seiner Zeit eine Vielzahl an wichtigen Entdeckungen für den Bau immer besserer Teleskope erforscht hat. Dabei musste er einen Großteil einer Apparaturen selber bauen und zeigte große Experimentierfreudigkeit sowie Ingenieurskunst. Bei einer Sache, da verrannte sich Herschel aber zeitlebens und sein Zweig der Theorie über die Sonne sollte nicht bis heute überleben. Dabei war seine Idee den Griechen entlehnt. Planeten bedeute auf griechisch einfach nur Wanderer. Und sieben Objekte wanderten für die Griechen vor 2000 Jahren über das Himmelszelt: Mond, Sonne, Merkur, Venus, Saturn, Jupiter und Mars. Insgesamt sind es sieben “Planeten”, ein Planet für jeden Tag.
Somit hinterfragte auch Herschel nicht, ob es eventuell einen Unterschied zwischen den “Planeten” geben könnte. Herschel glaubte an bewohnbare Planeten und Trabanten. Er beobachtete den Mond und erkannte in den Strukturen der Oberfläche Metropolen, ganze Städte und Dörfer. Straßen und Kanäle verbanden die Orte miteinander. Am Ende waren die Beschreibungen der bevölkerten Oberfläche des Mondes nicht von der englischen Landschaft (eng. english countryside) zu unterscheiden. Für Herschel war die englische Landschaft sein Modell was er in den Strukturen auf dem Mond wiederfand. Dieses Modell seiner Wirklichkeit wendete Herschel auch auf andere Trabanten und Planeten an und fand auch dort die bewohnten Oberflächen wieder.
So war es in seiner Logik auch vollkommen klar, dass es sich bei der Sonne um einen bewohnbaren Planeten handeln musste. Herschel stellten folgendes Gedankenmodell auf. Er betrachte die Erde vom Mond aus und schaute durch die Wolkenlücken auf die Erde herab. Das gleiche Modell konnte er nun auf die Erde und die Sonne anwenden. Die Sonne war damit ein mit Wolken umhüllter Planet. Die wenigen Wolkenlücken oder auch schwarzen Sonnenflecken erlaubten einen Blick auf die solide Oberfläche der Sonne. Daher war er Planet Sonne ein dunkler Planet mit einer leuchtenden Wolkenschicht. Die Abbildung 3.11 (a) zeigt hier nochmal den Zusammenhang. Damit die Bewohner der Sonne nicht von der leuchtenden Hülle gegrillt wurden, gab es eine schützende Wolkenschicht laut Herschel. Er entwickelt sein Sonnenmodell immer weiter wie in Abbildung 3.11 (b) zu sehen. Hier führte Herschel schon zwei Schutzschichten für die Bewohner der Sonne ein.
Am Ende waren es dann die Entwicklungen in der Spektrographie und andere Beobachtungen, die es Mitte des 19. Jahrhunderts nach Herschels Tod erlaubten die richtigen Schlüsse über die Sonne zu treffen. Die Sonne ist ein riesiger Ball aus heißem Gas. Spannenderweise sollte es noch bis in die 2000 Jahre dauern bis über Simulationsstudien über Computermodelle auf leistungsstarken Rechnern die Eigenschaften der Sonnenflecken durch die Umwälzungen im Inneren der Sonne und deren Magnetfeld erklärt werden konnte.
“Schicken Sie mir einige von Ihren sogenannten Cholerabazillen, und ich will ihnen beweisen, wie harmlos sie sind!” — Max von Petterkofer in einem Brief an Robert Koch
Als weiteres Beispiel nehmen wir den Begründer der Epidemiologie Max von Petterkofer (1818–1901). Max von Pettenkofer war ein bedeutender deutscher Hygieniker und erster deutscher Ordinarius für Hygiene. Er ist der Begründer der naturwissenschaftlich-experimentellen Hygiene und damit ein Wegbereiter für unsere sauberen Städte und Kanalisationen sowie Frischwasserversorgung. Seine ausgiebige statistische Erfassung und Auswertung des Seuchengeschehen ist noch heute in Grundzügen eine Säule der Epidemiologie.
Zur seiner Zeit wütete die Tuberkulose in der Welt. Um 1880 war in den Städten in der Altersgruppe der 15- bis 40-Jährigen jeder zweite Todesfall in Deutschland auf diese Krankheit zurückzuführen. Auch in ländlichen Gegenden stellte die Tuberkulose die häufigste Todesursache dar. Nun war es die Frage, was hilft gegen die Tuberkolose? Pettenkofer fand durch seine Experimente heraus, dass Zugang zu sauberen Wasser und strikte EInhaltung von Hygieneregeln die Ausbreitung der Tuberkulose stoppen konnte. Er war sorgte somit erst in München für ein weitreichende Verbesserung der hygienischen Alltagslebensbedindungen der Menschen und dann auch in anderen Teilen des damaligen deutschen Reiches. Nur eine Frage blieb dabei noch offen, was löste die Tuberkulose aus? Zwar konnte Pettenkofer alle Symptome der Tuberkulose systematisch abstellen, aber was ursächlich für den Ausbruch war, blieb ihm verborgen.
Pettenkofer war ein Positivist, das heißt, er erkannte ausschließlich tatsächliche, sinnlich wahrnehmbaren und überprüfbaren Befunden an. Der Positivismus hat in seiner philosophischen Form zur Erkenntnisgewinnung nicht das 20. Jahrhundert überlebt. Über den Auslöser der Tuberkulose begann ein jahrelanger wissenschaftlicher Streit mit Robert Koch (1843–1910) mit der Entdeckung des Mykobakterien als Auslöser der Tuberkulose im Jahre 1882. Pettenkofer vertrat die Ansicht, die Umweltbedingungen seien von erheblich größerer Bedeutung für die Entstehung einer Krankheit als die bloße Anwesenheit von Krankheitserregern. Er nannte den Auslöser “contagiöses Element Y” und weigerte sich an jedwede Bazillen zu glauben. Die Bedeutung der Umwelt und deren Auswirkungen auf Erkrankungen sollte dann in der aufkommenden Genetik eine bedeutende Frage der Wissenschaft werden.
Im Jahre 1456 … wurde ein Komet gesehen, der zwischen der Erde und der Sonne rückläufig war … Daher wage ich die Vorhersage, dass er im Jahr 1758 wiederkehren wird.” — Edmond Halley
Edmond Halley (1656–1742) entdeckte mit dem Halleyscher Kometen den wohl populärsten Kometen der Neuzeit. Halley wurde wegen seiner Verdienste um die Bahnbestimmung auch von anderen Kometen 1720 königlicher Astronom und Leiter der Sternwarte in Greenwich ernannt. Obwohl das Erscheinen von Kometen bis zu seiner Zeit als unvorhersehbar angesehen wurde, gelang es Edmond Halley im Jahr 1705, eine bemerkenswerte Entdeckung zu machen. Er erkannte, dass der Komet, den der sächsische Bauer und Astronom Christoph Arnold im Jahr 1682 als Erster beobachtet hatte, tatsächlich mit früheren Sichtungen von Kometen in den Jahren 1531 und 1607 identisch sein musste. Basierend auf dieser Erkenntnis wagte Halley eine bemerkenswerte Vorhersage: Er sagte voraus, dass dieser Komet im Jahr 1758 wiederkehren würde. Nachdem andere Forscher seine Berechnungen überprüften, erhielt der Schweifstern den Namen „Halley”.
Das Eintreffen der Vorhersage, dass ein Komet mit denselben Bahndaten wie die Kometen von 1531, 1607 und 1682 kommen würde, war 1758 ein großer, allen Menschen sichtbarer Erfolg der Newtonschen Gravitationstheorie. Es blieb aber bei diesem einmaligen Erfolg der Newtonschen Gravitationstheorie.
Darüber hinaus war Halley ein begeisterter Förderer von Newton und half ihm auch seine Erkenntnisse zu publizieren. Neben der finanziellen Unterstützung half er auch Newton vermutlich mathematisch aus. Aus den Berechnungen Newtons zu den Wasserbewegungen der Meere in Abhängigkeit von Mondmasse und -position konnte eine Dichte des Mondes im Vergleich zu der Erde mit einem Verhältnis von 9:5 bestimmt werden. Leider war hierbei Newton ein Rechnenfehler unterlaufen, der aber erst nach Halley’s Tod geklärt werden wollte. Wenn der Mond und die Erde aus dem gleichen Gestein bestehen würde, dann müssten die Dichten gleich sein. Die Erde war aber viel leichter als der Mond und so schloss Halley, dass die Erde zum Teil hohl sein müsse. Mit dieser Erkenntnis modellierte er ein Bild vom Erdinneren aus vier ineinander steckenden, konzentrisch angeordneten Kugeln mit Hohlräumen dazwischen wie in Abbildung 3.14 (a) zu sehen. Mit seiner Theorie der ineinander beweglichen Kugeln mit eigenen Magnetpolen, konnte Halley auch mathematisch schlüssig die beobachteten Abweichungen in dem Magnetfeld der Erde erklären.
Bis hierhin wurde die Entwicklung seines Modells der konzentrischen Sphären innerhalb der hohlen Erde sowohl mathematisch als auch auf Grundlage von Naturgesetzen vorangetrieben. Alles basierte auf nachvollziehbaren Beobachtungen sowie den damals als plausibel erachteten Annahmen. In Abbildung 3.14 (b) ist zu sehen wie überzeugt Halley von seiner Hohlerdentheorie war. Er lies sich zu seiner Ernennung als Astronomer Royal mit der Hohlerde abbilden.
Nun tat Halley aber etwas, was sich noch als sehr nachteilig für die weitere Geschichte der Hohlerdentheorie herausstellen sollte. Er war ein Zeitgenosse von Herschel und zu der damaligen Zeit glaubte man an die Bewohnbarkeit von Planeten und allem anderen. So war es auch für Halley in sich schlüssig, dass die Hohlerde bevölkert war. Die Beleuchtung kam von den fluoreszierenden Unterseiten der jeweiligen Kugel. Als Beweis seiner Theorie sah er die 1716 in England und weiten Teilen Europas beobachteten sehr lichtstarke Polarlichter. Halley erklärte die Polarlichter damit, dass das Licht aus den Hohlräumen durchscheine, weil die Erdkruste in nördlichen Breiten dünner sei.
“Konsequenz heißt, auch einen Holzweg zu Ende zu gehen!” — anonym
3.1.7 Cargo Cult Science
“The first principle is that you must not fool yourself and you are the easiest person to fool.” — Richard P. Feynman
In uns sind bestimmte Vorstellungen und Ideen integriert. Häufig hinterfragen wir diese Ideen und Konzepte auch nicht. Eins der stärksten Konzepte ist sicherlich die Kultur. Je nachdem aus welcher Kultur du stammst, hast du Vorstellungen “wie etwas zu laufen hat”. Du kannst dich sicher durch die Regeln eines Landes bewegen und merkst, dass du dich zu Hause fühlst, wenn deine Prinzipien und Ideen nicht “anecken”. Was sind aber diese Ideen und Prinzipien? Wir können vereinfacht von Memen sprechen. Meme sind wie Gene, nur das Meme für Gedanken und Konzepte stehen. Dabei ist sicherlich Kultur eine der komplexestens Ausprägungen hunderter von miteinander vernetzter Meme. Als Menschen lernen wir die Meme und die Meme werden uns über unsere Eltern und der Gesellschaft in der wir aufwachsen vererbt.
Dabei ist die Übertragung eines Mems durch Kommunikation nicht als Kopie oder Blaupause eines Gedankens von Gehirn zu Gehirn zu verstehen. Es wird der wesentliche Kern der Botschaft erfasst und weitergegeben wird. Ein Mem ist eher ein “Backrezept” zur Reproduktion desselben Gedankens. Und wie jedes gute Backrezept wird es von jedem Backenden etwas modifiziert. Wir handeln also nach inneren Prinzipien, die wir uns vermutlich nicht immer bewusst sind. Hat hier Freud dann doch recht? Kommen wir zum Kern des Abschnitts, wie betreiben wir eigentlich Forschung? Müssen wir uns da Gedanken drüber machen oder können wir einfach mal so machen? Hier wollen wir einmal auf die Gedanken von dem Physiker und Nobelpreisträger Richard Feynman (1918–1988) näher eingehen.
Feynman (1998) sagt, dass der Erste den du selber reinlegst immer du selber bist. Du hast die Daten mit sehr viel Mühe erhoben und willst am Ende ja auch was rausbekommen. Aber so funktioniert das nicht. Wir müssen unserer eigener Advocatus Diaboli sein und uns immer kritisch hinterfragen. In seiner Rede am California Institute of Technology geht er auf verschiedene Strömungen in der Wissenschaft ein und beschreibt Wissenschaften, die keine Wissenschaften sind. Er nennt diese Pseudo-Wissenschaften Cargo Cult Science. Du betreibst Cargo Cult, wenn du eine Handlung formal korrekt durchführst, aber der Kontext keinen Sinn ergibt. Klingt jetzt erstmal kryptisch, aber viele Handlungen entspringen mehr einem Meme als einer rationalen Ursache. Schaue dir einmal Professor Zapinsky in der Abbildung 3.15 an. Professor Zapinsky führt seine Studie aus seiner Sicht absolut korrekt aus. Beide Behandlungen sind den gleichen Umweltbedingungen ausgesetzt, so dass er hier von einer Überlegenheit der Krake gegenüber der Katze ausgehen kann.
Schauen wir uns jetzt einmal Cargo Cult selber an. Was war den der Cargo Cult? Der Cargo Cult entstand grob im Pazifik als die Amerikaner im zweiten Weltkrieg begannen die sorten Inseln für mit Gütern des täglichen Bedarfs (eng. cargo) auszustatten. Da die Amerikaner nicht wussten welchen Inselpfad sie nach Japan wählen würden, schmissen sie auch zufällig Güter auf Inseln ab. Der dortigen indigenen Bevölkerung kamen die Amerikaner wie Wesen aus einer anderen Welt vor. Oder um es in den Worten von Arthur Clarke mit folgendem Zitat zu beschrieben.
“Jede hinreichend fortschrittliche Technologie ist von Magie nicht zu unterscheiden.” — Arthur C. Clarke, 3. Gesetz
In der Abbildung 3.16 (a) siehst du verschiedenen Cargo Cult Gegenstände der Bewohner Neuguineas, Neukaledoniens und der Salomonen. Alle Gegenstände sind perfekt nachgebildet. Die Handlungen sind alle formal korrekt ausgeführt, aber warum kein Flugzeug landet, bleibt den Bewohnern ein Rätsel. So ist es auch in anderen Bereichen der Forschung. Wir führen Dinge aus, verstehen die Dinge nicht und wundern uns das wir nichts finden. Auf der anderen Seite hinterfragen wir aber nicht die Resultate, wenn die Ergebnisse in den Bereich unserer Erwartungen fallen. Feyman nennt als Beispiel den berühmten Versuch von Millikan zur Ermittlung der Elementarladung des Elektrons. Millikan nahm einen falschen Parameter an und ermittelte so eine zu niedrige Ladung. Trotzdem dauerte es noch Jahrzehnte den richtigen Wert zu ermitteln, da man eher an sich zweifelte als an den Nobelpreisträger Millikan.
Cargo Cult in der Wissenschaft ist ein Problem, was viele nicht bewusst vor Augen haben. Was wir jetzt aber immer mehr sehen, ist Fake News im Sinne der KI generierten Bilder. In Abbildung 3.16 (b) siehst du ein Beispiel für satirischen Auseinandersetzung mit der Reptilian conspiracy theory. Hier wird die Idee auf Korn genommen, dass die Menschheit von einer Gruppe Reptiloiden beherrscht wird. In Verschwörungstheorien wird jegliche Wissenschaftlichkeit über Bord geworfen und Ideen sowie Konzepte so zusammengerückt, dass es zu der Geschichte passt. Die Gruppe um Peter McIndoe in Abbildung 3.16 (c) versucht mit der Verschwörungstheorie Birds aren`t real einen Kontrast zu den anderen Verschwörungstheorien zu liefern und die Mechanismen satirisch zu hinterfragen. Offen muss bleiben, ob ihnen das so gelingt oder aber nur eine weitere Verschwörungstheorie erschafft.
Leider bleiben wir auch in der Klimakrise nicht von Verschwörungstheorien verschont. Wenn dich mehr zum Thema “Verschwörungstheorien in der Klimakrise” interessiert, über das Warum und Wie, dann besuche doch Webseite der Bundeszentrale für politische Bildung und dort schaue in die Ausgabe Aufgeheizt - Verschwörungserzählungen rund um die Klimakrise. Du findest dort auch das kostenlose PDF zum Download.
Folgend Zitatzusammenstellung stammt von Steven Hawking, der sich zu den Aussichten eines Kontaktes mit einer außerirdischen Zivilisation geäußert hat.
“Wenn uns Außerirdische jemals besuchen, wird der Ausgang, so denke ich, genauso sein wie die Landung von Christopher Columbus in Amerika, was für die Eingeborenen nicht sehr gut ausging. […] Wir müssen nur auf uns selbst schauen, um zu sehen, wie sich aus intelligentem Leben etwas entwickelt, dem wir lieber nicht begegnen möchten. […]Fortschrittliche Aliens werden wohl ein nomadenhaftes Leben führen und versuchen, alle Planeten zu erobern und zu kolonisieren, die sie finden können.” — Stephen Hawking
Verfällt hier Hawking des gleichen Trugschlüssen wie Herschel? Sind wir eventuell eingschüchtert wie beim Millikanexperiment? Ist der Gedankengang sauber oder gibt es vielleicht Risse in der Logik von Hawking?
3.1.8 Anthropozän
Wir stehen an der Schwelle zum Anthropozän dem Zeitalter des Menschen. Jedenfalls behaupten dies einige Wissenschaftler. Die Menschheit ist zu einem geologischen Faktor geworden und somit endet das Holozän, die vor 11.700 Jahren begann. Jetzt gibt es in geologischen wissenschaftlichen Kreisen die Frage, ob nun das Holozän wirklich beendet ist und somit das Anthropozän formal in der Geologischen Zeittafel eingeführt werden kann.
Die Blaualgen hat die Bändererze erschaffen und somit einen Marker in der Geologie hinterlassen. Jahrtausende später hat der Meteoriteneinschlag die K-P-Grenze erschaffen und den Beginn des Aussterben der Dinosaurier markiert. Nun ist die Frage, gibt es eine solche Grenze auch für die Menschheit im Gestein? Viele Jahre wurde diskutiert welche Grenze wir für die den Beginn des Anthropozän nehmen sollen. Es muss eine Grenze sein, die wir global in den Gesteinschichten finden.
Im Crawfordsee in Ontario, Kanada, entstehen während warmer Sommermonate Kalzitminerale, die alljährlich herabrieseln und eine deutlich sichtbare weiße Schicht bilden – vergleichbar den Jahresringen eines Baumes. Doch eine bemerkenswerte Linie hebt sich von den anderen ab: Sie markiert die frühen 1950er-Jahre und wird durch das Isotop Plutonium-239 als nachweisbare globale Signatur von Kernwaffentests definiert. Hier stellt sich die Frage, ob der Crawfordsee möglicherweise als eine “Global Boundary Stratotype Section and Point” dienen könnte, um den Übergang in dieses neue geologische Zeitalter zu veranschaulichen.
Ein andrer potenzieller geologischer Marker könnte das im Jahr 2006 entdeckte Plastiglomerat sein. Plastiglomerat ist ein Gestein, das aus einer Mischung aus Sediment und anderen natürlichen Ablagerungen besteht, die durch Kunststoff zusammengehalten werden. Dabei kann es sehr hart und große Stücke bilden. Das Plastiglomerat wird ebenfalls als Marker für den Beginn der Industrialisierung vorgeschlagen. Plastiglomerate könnten so einen Markierungshorizont für die Verschmutzung durch den Menschen in den geologischen Aufzeichnungen bilden und als künftige Fossilien bestehen.
Hier siehst du einmal einen sehr aktuellen Forschungsprozess aus der Geologie, der gerade diskutiert wird. Eigentlich ist es ja für den Alltag egal, in welcher Zeit wir leben. Ob wir nun in dem Holozän oder dem Anthropozän leben ändert ja eigentlich nichts. Auf der anderen Seite mag es doch einen psychologischen Unterschied ausmachen, dass die Menschheit dem Planeten seinen Fußabdruck verewigt hat.
3.2 Zurück in die Zukunft
“So. Zeitleitung einschalten. Flux Kompensator - fluxuriert. Maschine läuft. Es kann los gehen.” — George McFly in Zurück in die Zukunft
Wo wollen wir jetzt eigentlich hin, nachdem wir uns so viele historische Forschungsprozesse angeschaut haben? Was ist denn jetzt der ganz große Bogen der alles überspannt? Die Lehre soll sich ja immer in die Zukunft (eng. future) richten und Wissen von einer Generation zu der nächsten Transferieren. Wir haben ja immer nur eine begrenzte Zeit zu Verfügung in der ich dir Fähigkeiten (eng. skills) vermitteln kann. Nun ist die Frage, was soll ich eigentlich unterrichten und was wird in der Zukunft den nun gebraucht? Beginnen wir erstmal mit der klassischen 7G-Lehre, die du bis jetzt immer erlebt hast.
3.2.1 Klassischer 7G-Unterricht
Was ist eigentliche die klassische Lehr- und Lernerfahrung aus der Schule? Oder andersherum, was ist Wasser im Bezug auf deine Schulerfahrung? Denn aus der Schule kommst du an die Hochschule und bringst für dich die Norm für deine Lehr- und Lernerfahrung mit. Deshalb hier einmal etwas mit Abstand auseinander genommen was klassischer Unterricht ist und warum dieser klassische Unterricht nach Helmke (2013) auch 7G-Unterricht genannt wird. Schule ist nicht so wie Schule ist, weil Schule so passiert, sondern weil ganz viele Akteure Schule so wollen.
- gleiches Alter
- gleicher Ort
- gleiche Zeit
- gleiche Art und Weise
- gleiches Lehrperson
- gleiche Inhalte
- gleiche Lernziele
Im klassischen 7G-Unterricht bearbeiten gleichaltrige Schüler:innen im gleichen Raum zur gleichen Zeit auf die gleiche Art und Weise mit der gleichen Lehrperson die gleichen Inhalte – und orientieren sich dabei an den gleichen Zielen. Wir sehen also, es ist ein starker Fokus auf das Gleiche für jeden. Die individuellen Lernansprüche der Schüler:innen werden somit höchstens zufällig vom klassischen Unterricht erfüllt.
Darüber hinaus haben wir in der Schule einen Fokus auf das Ergebnis und nicht den Prozess. Du bist darauf trainiert, bei einem ersten Versuch besser als der Durchschnitt zu sein und zu vergessen, was du getan hast, sobald du deine Klausur geschrieben hast. Es geht also primär um die Note am Ende und um möglichst effizient eien gute Note zu erreichen. César A. Hidalgo schrieb zum diesem antrainierten Verhalten in der Schule und dem Spannungsfeld der späteren Arbeit einen längeren Faden auf Twitter mit folgenden Eingangstweet.
Nachdem ich über ein Jahrzehnt lang Doktoranden und Masterstudierende beraten habe, stelle ich fest, dass die meisten Studierenden eine Sache erst einmal ablegen müssen: die Mentalität der Halbherzigkeit, die sie sich durch jahrelange Tests und Hausaufgaben angeeignet haben.
Was ist also Wasser für dich in deiner Schulerfahrung? Hilft diese Erfahrung eigentlich zukünftige Herausforderungen zu meistern? Vor allem ändert sich jetzt vieles im Bezug auf die Hochschule. Am Anfang des Studiums ähnelt noch vieles der Schule oder dir kommt es eher noch so vor. Im Verlauf des Studiums erfährtst du dann eine immer stärker werdende Individualisierung. Du musst dich um viel mehr selber kümmern und auch auch die Lehr- und Lernformate ändern sich. Warum das so ist, wollen wir im nächsten Abschnitt einmal anschauen. Der Fokus geht nämlich weg vom 7G-Unterreicht und hin zu den Future Skills (eng. Zukunfstfähigkeiten).
3.2.2 Future Skills
“Prognosen sind schwierig, vor allem, wenn sie die Zukunft betreffen.” — Mark Twain
Nachdem wir uns etwas mit der Vergangenheit deiner Schulerfahrung beschäftigt haben wollen wir nun einen Blick in die Zukunft wagen. Wir fragen uns daher, welche Fähigkeiten brauchen wir um mit zukünftigen Herausforderungen an uns zu meistern? Was sind den nun die zukünftig notwendigen Fähigkeiten (eng. Future Skills)? Hierzu nutzen wir als die direkte Quelle den Stifterverband-Initiative “Future Skills”. Dort finden wir dann auch die Future Skills: Die Skills im Überblick. Grundsätzlich ist die Idee nicht so neu, auch schon das humboldtsche Bildungsideal spricht davon, soviel Welt wie möglich in sich aufzunehmen. Die Future Skills sind aber strukturierter und erlauben ein mehr gerichtetes Lehren und Lernen.
Die Future Skills teilen sich in vier Kompetenzen auf, die wiederum aus verschiedenen Inhalten bestehen. Sicherlich ist es nicht möglich alle Bereiche abzudecken oder ein tiefes Sachverständis zu erlangen. Dennoch sind das die Themenfelder, die zukünftig eine Rollen spielen werden. Und das Leben ist lang und lebenslanges Lernen bedeutet ja auch nichts anderes als immer wieder neue Fähigkeiten zu erlangen. Zum einen müssen wir zwischen Spezialisten für den Umgang mit transformativer Technologien und Schlüsselkompetenzen im Allgmeinen für alle Arbeitsbereiche. In der Abbildung 3.19 wird dieser Zusammenhang nochmal dargestellt. Auch wenn du kein Spezialist für transformative Technologien sein willst, so solltest du dich in den Fachbegriffen auskennen, da du sicherlich im Team mit diesen Spezialisten arbeiten wirst. Im Bereich der zukünftigen Schlüsselkompetenzen machen die klassischen Kompetenzen nur noch einen kleinen Teil aus.
Betrachten wir die einzelnen Kompetenzen und deren Inhalte in Tabelle 3.2 nochmal detaillierter. Dabei ist wichtig zu bachten, dass wir die vier Kompetenzfelder i) technologische Kompetenz, ii) digitale Schlüsselkompetenz, iii) klassische Kompetenz und iv) transformative Kompetenz vorliegen haben. In jeder dieser Kompetenz haben wir noch weitgefasste Inhaltsfelder. Besonders im Bereich der technologischen Kompetenzen lässt sich ein umfangreiches Wissen kaum erreichen. Hier sind wichtige zukünftige Inhaltsfelder benannt, die sich teilweise überschneiden. Die digitalen Schlüsselkompetenzen werden im Rahmen der Hochschullehre teilweise vermittelt. Die klassischen Kompetenzen sowie die die transformativen Kompetenzen gehören zum weiten Bereich der Persönlichkeitsentwicklung und sollen hier auch als Leitfaden und Orientierungshilfe dienen.
Kompetenzen | Inhalte |
---|---|
Technologische Kompetenzen | Data Analytics & KI, Softwareentwicklung, Nutzerzentriertes Design, IT-Architektur, Hardware/Robotikentwicklung, Quantencomputing |
Digitale Schlüsselkompetenzen | Digital Literacy, Digital Ethics, Digitale Kollaboration, Digital Learning, Agiles Arbeiten |
Klassische Kompetenzen | Lösungsfähigkeit, Kreativität, Unternehmerisches Handeln & Eigeninitiative, Interkulturelle Kommunikation, Resilienz |
Transformative Kompetenzen | Urteilsfähigkeit, Innovationskompetenz, Missionsorientierung, Veränderungskompetenz, Dialog- und Konfliktfähigkeit |
Wir immer im Leben gilt, dass niemand weiß, was in der Zukunft gebraucht wird und wirklich nützlich ist. Die Future Skills bieten aber einen guten Leitfaden zur Orientierung. Nicht alles muss man erfüllen um für die Zukunft gewappnet zu sein, wie wir dann noch später lernen werden. Die Idee zu definieren welche Fähigkeiten der Mensch für die Zukunft braucht ist nämlich auch schon sehr alt und wurde schon von vielen Philosophen durchdacht.
“And you can get me work; But I can’t work for free; I’ve got a room downtown; With a bed and a big TV” — White Lies, Big TV
Heinrich Böll schrieb zum Tage der Arbeit am 1. Mai 1963 die Anekdote zur Senkung der Arbeitsmoral. Vermutlich kennst du schon die Geschichte an deren Ende der Fischer nichts gewinnen würde, wenn er sehr viel Arbeit und sich nicht der Faulenzerei hingibt, denn er hätte dann nicht mehr als er jetzt sowieso schön hätte. Auch sehr spannend zu lesen ist das Buch von Price (2021) mit dem Titel Laziness does not exist. Ich fand einige der Gedanken sehr erhellend. Manachmal ist weniger dann auch mehr. Vor allem, wenn das mehr dann mehr von dem eigenen Leben beinhalten, was einen selber auch ausmacht.
“20 years from now, the only people who will remember that you worked late are your kids.” — David Clarke on r/antiwork
Die Parabel hat unterschiedliche Rezeptionen erfahren. So diskutiert die Karrierebibel in dem Artikel Warum die Parabel über den Fischer und Touristen gefährlich ist, ob die Parabel mehr nutzt als schadet. Oder ist es nicht eher so, dass das Verhalten des Touristen erst zur Tragödie des Dorsches in der Ostsee geführt hat? Wenn alle Fischer sich so Verhalten wie der Tourist vorschlägt, dann wird die Sache schon problematisch. Auch ist es ganz spannend mal zu hören, was so Tech-Milliardäre so denken. Wo sollen sie den die Bunker bauen? Höre dazu den Deutschlandfunk Im Angesicht der Katastrophe – Die Angst der Tech-Milliardäre vor ihrem Personal.
Am Ende vielleicht hier noch die Antwort von Platon (428/427–348/347 v. Chr) auf die Frage, was Platon am Menschen im Allgemeinen am meisten überrascht.
“Sie langweilen sich in der Kindheit und beeilen sich, erwachsen zu werden, aber dann vermissen sie ihre Kindheit. Sie verlieren ihre Gesundheit, um Geld zu verdienen, aber sie zahlen Geld, um ihre Gesundheit wiederzuerlangen. Sie sorgen sich um das Morgen und vergessen das Heute. Am Ende leben sie weder heute noch morgen. Sie leben, als ob sie nie sterben würden, aber sie sterben, als ob sie nie gelebt hätten.” — Platon
3.2.3 Und jetzt? Was solltest du tun?
“Wer etwas Großes will, der muß sich, wie Goethe sagt, zu beschränken wissen. Wer dagegen alles will, der will in der Tat nichts und bringt es zu nichts. Es gibt eine Menge interessante Dinge in der Welt; spanische Poesie, Chemie, Politik, Musik, d. ist alles sehr interessant, und man kann es keinem übel nehmen, der sich dafür interessiert; um aber als ein Individuum in einer bestimmten Lage etwas zustande zu bringen, muß man sich an etwas Bestimmtes halten und seine Kraft nicht nach vielen Seite hin zersplittern.” — Georg Hegel, deutscher Philosoph
Nun sind wir am Ende dieses sehr langen Kapitels angekommen. Ich habe hier lange dran geschrieben und du vermutlich auch etwas länger dran gelesen. Aber wie kommen wir jetzt zu einem Forschungsergebnis? Indem wir das Ergebnis vergessen und uns auf den Prozess konzentrieren. Dieses Kapitel diente dazu dir zu zeigen, dass es viele Ideen in der Wissenschaft gibt und das es eben ein anderer Denkprozess ist zu einem wissenschaftlichen Ergebnis zu kommen. Auf dem Weg zu einer neuen Theorie liegen viele Fallstricke und schnell hast du dich verrannt. Aber das ist kein Problem, denn verrannt haben sich schon viele großartige Wissenschaftler. Die Pflicht des Wissenschaftlers ist es seine Ergebnisse zu berichten, so dass andere deine Ergebnisse falsifizieren können.
Teile dieses Kapitels basieren auch auf meiner lehrdiaktischen Forschung aus Kruppa u. a. (2021).
Gut, dass ist jetzt alles sehr groß und weiträumig. Wie fangen wir denn jetzt mal konkret an? Du hast jetzt ein Problem oder stehst vor der Herausforderung zu forschen. Also überhaupt den Prozess des Forschens zu beginnen. Hier möchte ich dir die Feynman Methode ans Herz legen, die dir erlaubt relativ effizient ein Themenfeld für dich abzuarbeiten. Der Fokus der Feynman Methode liegt dabei auf dem Verstehen und nicht auf dem Auswendig lernen.
Schauen wir uns also mal die vier Schritte der Feynman Methode genauer an.
Besuche gerne noch die Tutorien How to Use the Feynman Technique to Learn Faster und The Feynman Technique: Master the Art of Learning. Beide liefern nochmal sehr viel mehr Informationen, als ich es hier tun aknn.
- Schritt 1: Beginne damit, ein Blatt Papier vor dir zu nehmen und den Namen des Konzepts am oberen Rand zu notieren. Denke daran, dass du jedes erdenkliche Konzept oder jede Idee verwenden kannst. Die Anwendung der Feynman-Methode ist nicht ausschließlich auf die Naturwissenschaften beschränkt.
- Schritt 2: Jetzt geht es darum, das gewählte Konzept in eigenen Worten zu erklären, als würdest du es jemand anderem beibringen. Versetze dich in die Rolle eines Lehrers und verwende eine klare und einfache Sprache. Gehe über eine einfache Definition oder einen groben Überblick hinaus. Fordere dich selbst heraus, indem du ein oder zwei Beispiele durchdenkst, um sicherzustellen, dass du das Konzept wirklich verstanden hast.
- Schritt 3: Überprüfe deine Erklärung kritisch und identifiziere die Bereiche, in denen du unsicher bist oder deine Erklärung schwankt. Sobald du diese Stellen gefunden hast, gehe zurück zu den Quellen, Notizen oder Beispielen, um dein Verständnis zu vertiefen.
- Schritt 4: Solltest du in deiner Erklärung Fachbegriffe oder komplizierte Sprache verwenden, schreibe diese Passagen in einfacheren Worten neu. Stelle sicher, dass deine Erklärung von jemandem verstanden werden kann, der nicht über das gleiche Wissen verfügt wie du jetzt. Dies ist ein entscheidender Schritt, um sicherzustellen, dass du das Konzept wirklich durchdrungen hast.
Im Folgenden siehst du in der Abbildung 3.20 einmal zwei Beispiele für meinen Umgang mit neuen Ideen und Lehrstoff. Ich zeichne mir da auch immer wild Sachen in mein Buch und versuche mich darüber zu strukturieren.
Die Feynman Methode wird übrigens noch besser, wenn du dir eine Lerngruppe suchst und ihr euch untereinander verschiedene Konzepte erklärt. Dann sind auch die Rückfragen viel spannender und du erfährst, ob du wirklich was verstanden hast. Etwas einfach zu erklären ist nämlich will schwieriger als etwas verworren erzählen. Verworren kann jeder, das ist keine Kunst.
Bitte beachte auch das Blatt Papier in dem ersten Schritt. Ein Blatt Papier bleibt da, du siehst was du geschrieben hast und die Gedanken können sich dort besser ordnen. Dazu gibt es auch die Studie von Mueller und Oppenheimer (2014) mit dem Titel Why the pen its mightiger than the keyboard. Im Prinzip spricht auch nichts gegen ein Tablet, aber dann kannst du den Prozess nicht so schön nachvollziehen. Ich selber mag es nochmal im Prozess zurückzugehen und zu sehen was ich gelernt habe. Das geht für mich in einem Buch voll Blankopapier am einfachsten.
Was ist die Hauptaufgabe des menschlichen Gehirns? Das Vergessen, das menschliche Gehirn arbeitet jede Sekunde daran, zu vergessen und dich vor den herein brandenden Informationen und Sinneseindrücken zu schützen. Wenn du also mehr darüber erfahren willst, wie das menschliche Gehirn lernt, dann kann ich dir Zull (2006) als Einstieg empfehlen.
Wenn du in deiner wissenschaftlichen Karriere wissen willst, warum etwas in einem Forschungsfeld so gemacht wird wie es gemacht wird, dann musst du die Geschichte hinter der Methode kennen. Und die Geschichte hinter einer Entdeckung ist auch immer mit dem Leben eines Menschen mit all seinen Wirrungen eng verflochten. Meistens sind es jedoch mehrere verknüpfte Leben mit all ihren Konflikten und Kompromissen. Die historischen Beispiele in diesem Kapitel zeigen dir da einige dieser Lebenswege. Enden wir also hier mit einem wunderbaren Zitat zur Wissenschaft im Allgemeinen.
“Um eine Wissenschaft zu verstehen, muss man ihre Geschichte kennen” — Auguste Comte